Auf den Spuren der Titanic

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Das Carribean Princess legt in Cobh ab. Das Kreuzfahrtschiff ist noch 21 Meter länger als die Titanic es einst war.

Majestätisch erhebt sich die Carribean Princess über dem Cobh Heritage Center, gefühlt dreimal so hoch wie daneben liegende Halle des Ausstellungs-Zentrums. Die rund 3000 Kreuzfahrt-Passagiere haben den kleinen Ort Cobh überflutet. Der Landgang wird für die meisten von Ihnen ein Trip in die Vergangenheit.

Die irische Südküste ist reich an sehenswerten Orten und Buchten. Kinsale und Waterford gehören dazu, auch Youghal und Wexford. Cobh hat für sich genommen nicht viel zu bieten, sieht man einmal von dem pittoresken Hafen-Panorama und der majestätisch darüber thronenden St. Colemans-Kathedrale ab. Dennoch wird Cobh regelmäßig von großen Kreuzfahrt-Linien angesteuert, die in dem Naturhafen einen Zwischenstopp einlegen, denn hier wird die Erinnerung an das berühmteste Passagierschiff der christlichen Seefahrt wach gehalten – die Titanic.

Vor mehr als 100 Jahren war sie ein Post- und Auswandererschiff wie –zig andere auch, das Schwesterschiff Britannic war gerade auf Kiel gelegt, die kurz zuvor gebaute Olympic bereits auf der Nordatlantik-Route unterwegs.

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Die Bucht von Cork ist ein Naturhafen, der heute wieder Kreuzfahrtschiffe anzieht.

Belfast – als Ort des Stapellaufs – oder Southhampton sind die Städte, die mit dem kurzen Leben der Titanic in Verbindung gebracht werden, vielleicht auch noch New York, wo sie niemals ankam. Der Name Queenstown spielt im allgemeinen Wissen über die Titanic nur eine untergeordnete Rolle.

Dass Queenstown, wie Cobh 1912 noch hieß, tatsächlich der letzte Hafen war, in dem die Titanic festmachte, ist heute für viele Kreuzfahrt-Gäste Anlass für einen Landgang. In der 12.000-Seelen-Gemeinde wird hart daran gearbeitet, den Mythos des untergegangenen Luxusliners in Bares umzumünzen. Und welcher Ort könnte besser geeignet sein, die Erinnerung zu pflegen, als das Original-Fahrkarten-Büro der White Star Linie. Sie war seinerzeit die Betreiberin des Schiffes.

Anderthalb Monate nach dem 100. Jahrestag des Untergangs öffnete „Titanic Experience“ am Casement Square in Cobh seine Pforten. Ein prominenterer Standort hätte sich kaum finden lassen, denn es liegt unmittelbar an dem kleinen historischen Hafenbecken, in dem zahlreiche bunte Fischerboote ihren Platz haben. Bevor den Investoren auffiel, dass man mit der Titanic-Historie Geld verdienen kann, diente die ehemalige Ticket-Verkaufsstelle als Postamt, zeitweise war auch ein Restaurant darin untergebracht. Heute kann man dort tatsächlich wieder Fahrkarten bekommen. Zehn mal 15 Zentimeter groß sind die Nachdrucke der Original-Tickets für die Titanic-Überfahrt. In der 3. Klasse zahlte man damals acht Pfund Sterling, nach heutigem Wert etwa 480 Euro.

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Dr. Michael Martin – hier bei einem Rundgang durch Cobh – hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Ereignisse um die Titanic in „den richtigen historischen Kontext einzuordnen“.

Dr. Michael Martin ist fest eingebunden in den Erinnerungs-Betrieb um die Titanic. Der promovierte Historiker, er ist in Cobh zu Hause, möchte aber nicht als Teil des internationalen Katastrophen-Business gesehen werden. Er will „die Titanic vom Podest holen“, sagt er, und die Ereignisse „in den richtigen historischen Kontext einordnen“. Für Besucher vor Ort hat er den „Titanic Trail“ eingerichtet, einen Spaziergang durch den Ort, wo er Anekdoten und Schmonzetten rund um die unglückliche Dampferfahrt zum Besten gibt. Für Besucher im Internet ist es ihm gelungen, sich die Webadresse www.titanic.ie zu sichern, da kommt irgendwann jeder an, der im Netz etwas zu dem Schiff und seiner Historie sucht.

Der 11. April 1912, so ruft Michael Martin in Erinnerung, „war ein ganz normaler Arbeitstag mit ganz normalem Auswanderer-Business“. Es war üblich, dass die weniger Wohlhabenden Haus und Hof versetzten, wenn sie denn welches besaßen, um sich die Passage leisten zu können. 123 neue Passagiere stiegen in Cobh zu, 44 von ihnen überlebten. Sieben andere, die aus Cherbourg oder Southampton gekommen waren, hatten ihr Reiseziel erreicht und gingen von Bord: Natürlich hatten sie keine Ahnung, dass diese Entscheidung ihnen wahrscheinlich das Leben rettete.

Eindringlich weist Martin auf einen Umstand hin, der zwar einleuchtend, aber im Jahrzehnte anhaltenden Untergangs-Schaudern einfach gern übersehen wird. Die wichtigste Aufgabe der Titanic war es weder, ebenso wohlhabenden wie gelangweilten First-Class-Passagieren den Kick einer Jungfernfahrt über den Atlantik zu verschaffen, noch ging es darum, bettelarmen Familien ohne Perspektive in ihrem Heimatland die Chance auf ein besseres Leben zu eröffnen. Die Titanic war ein Postschiff, ein wichtiger Teil der Ladung waren Postsendungen aus London, die mit der Bahn nach Southampton gebracht worden waren und auf dem damals üblichen Weg nach New York transportiert werden mussten. Dazu kam Allerweltsfracht im Wert von zusammen 420.000 Dollar, darunter vier Kisten Füllfederhalter der Firma Spencerian Pen Co. und drei Kisten Miederwaren von Thomas Meadows & Co.

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Box-Office: Seit 2012 werden hier wieder Karten verkauft – jetzt sind es Billets für die Titanic-Ausstellung.

Dieser eher profane Hintergrund taugt aber nicht zur Mythen-Pflege, weshalb er in der Titanic Experience im ehemaligen Ticket-Häuschen keine Rolle spielt. Dort sind Dokumente und Artefakte zu bestaunen, die unmittelbar mit dem Schiff und seinem Scheitern in Verbindung stehen. Der Balkon über dem Hafenwasser postiert die Besucher ziemlich genau da, wo einst die Bordwand und Aufbauten der Titanic mehr als 40 Meter in die Höhe ragten. Mehrere zeitgenössische Fotos, vom Wasser aus aufgenommen, belegen, dass man sich an historischer Stätte befindet und welchen Menschenauflauf der letzte Halt der Titanic in dem kleinen Ort erzeugte.

Liebevolle Nachbauten von Kabinen der 1. und 3. Klasse geben einen Eindruck von den Lebensverhältnissen on Bord. Dass die Salons der 1.Klasse mit echten Palmen ausstaffiert waren, erfährt man aber nicht hier, das muss man sich von Michael Martin erzählen lassen. Lediglich die audiovisuelle Untergangs-Show in einem elliptischen Kino-Raum lässt angesichts von heutzutage verfügbarer Digital- und Projektionstechnik Wünsche offen. Dafür fehlt es in dem unvermeidlichen Souvenir-Laden fast an nichts, selbst eine in Faksimile nachgedruckte Ausgabe der lokalen Tageszeitung, des Cork Examiners, vom 15. April 1912 ist dort zu erstehen.

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Ausstellung: Im Cobh Heritage Center wird die lange und entbehrungsreiche Geschichte der irischen Auswanderungs-Wellen seit 1848 anhand von Schiffsmodellen, Info-Tafeln und zeitgenössischen Dokumenten veranschaulicht.

Wer nicht die berühmte Havarie zum Anlass nimmt, Cobh einen Besuch abzustatten, braucht die Anlegestelle der großen Kreuzfahrtschiffe heute kaum zu verlassen. Die Ausstellung „The Queenstown Story“ im Heritage Center gibt einen unspektakulären und vollständigen Überblick über die Auswanderungs-Geschichte, die in Queenstown Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eines ihrer Zentren hatte. Immerhin nutzten rund 2,5 Millionen der rund sechs Millionen irischer Auswanderer, die zwischen 1848 und 1950 ihr Land verließen, diesen Hafen.

Am späten Nachmittag kehrt wieder Ruhe ein in Cobh, die Kreuzfahrer kehren an Bord der Carribean Princess zurück, um halb sieben legt der weiße Dampfer ab. Dass man Cobh besser meiden sollte, wenn man Passagierschiffe betreibt, darauf ist bei den großen Kreuzfahrt-Linien offenbar noch niemand gekommen. Und das, obwohl sich kaum acht Seemeilen südwestlich des Ortes in der Irischen See der Schauplatz eines weiteren spektakulären Schiffuntergangs befindet. Auf 51° Grad 25 Minuten nördlicher Breite und 8° 33′ westlicher Länge sank am 7. Mai 1915 die Lusitania. An die fast 1200 Todesopfer und 761 Überlebenden erinnert der unauffällige Gedenkstein auf einem Friedhof am Rand der Stadt. Dieses Unglück, so Michael Martin, habe Queenstown weit mehr beschäftigt, als die Titanic. „Jedes verfügbare Fischerboot lief damals aus, um Überlebende zu bergen“.

Stand: April 2015; Text und Fotos: Axel Busse

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